Zur Theorie des Gesamtkunstwerkes „Otto Leege Pfad“

Bernd F. K. Bunk

Zur Theorie des Gesamtkunstwerkes „Otto Leege Pfad“

Inhaltsverzeichnis

  1. Einführung
  2. Anlass des Vorhabens
  3. Darstellung
  4. Ergebnisse
  5. Gesamtkunstwerk
  6. Der künstlerisch-ökologische Inselpfad als äußerer und innerer Weg
  7. Motivation und Wertschätzung durch künstlerische Gestaltung
  8. Versuch der Realisierung eines Gesamtkunstwerkes
  9. Einzelnachweise

1. Einführung

Der Otto Leege Pfad befindet sich auf der Nordseeinsel Juist im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer. Er führt quer über die schmale Insel von den Salzwiesen am Wattenmeer über die Dünenlandschaft zum Meeresstrand.

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Aufnahme NASA

Juist mit seiner unbewohnten Schwesterinsel, der Vogelschutzinsel Memmert, und der verlandenden Kachelotplate

Das Gesamtkunstwerk ehrt mit der Namensgebung einen der bedeutendsten Naturforscher der Nordseeküste, Dr. hc. Otto Leege (1862 – 1951), dessen Verdienste um den Naturschutz und besonders den Vogelschutz nicht hoch genug eingeschätzt werden können. Über viele Jahre lag sein Tätigkeitsschwerpunkt auf der Insel Juist und der heutigen Vogelschutzinsel Memmert. Der Otto Leege Pfad, als künstlerisch-ökologischer Inselpfad, wurde von dem Bildhauer Bernd F. K. Bunk als Gesamtkunstwerk konzipiert und von 2006 bis zur Einweihung am 28.06.2012 vom Otto Leege Institut unter der Leitung von Bunk realisiert. Der Pfad ist rund 1 km lang und beinhaltet neben ausführlichen Schautafeln zur Ökologie der Region mehrere Kunstwerke des Bildhauers.

2. Anlass des Vorhabens

Das breite Angebot im Umweltbildungsbereich ist zumeist auf eine intellektuelle Wissensvermittlung ausgerichtet. Intellektuelle Kenntnis von Naturvorgängen und Umweltproblematiken allein führen jedoch selten zu Verhaltensänderungen und damit zu einer nachhaltigen Verbesserung der Umweltsituation. Erst wenn über das Wahrnehmen hinaus eine empfindende und bewusstseinsverändernde Komponente zum kognitiven Erfassen hinzutritt, vergrößert sich die Möglichkeit einer individuellen und gesellschaftlichen Verhaltensänderung. Der Otto Leege Pfad geht als ökologisch-künstlerischer Inselpfad über die derzeit vorhandenen Konzepte zur Lehrpfaderstellung hinaus und stellt eine Weiterentwicklung des Instrumentes ‚Lehrpfad‘ dar. Er möchte im weitesten Sinne zur Ausbildung und Förderung von Umweltbewusstsein beitragen. Durch die Förderung des Gefühls, Teil eines ökologischen Systems zu sein, beabsichtigt er letztendlich eine Wirkung auf die Verhaltensweise der Besucher hervorzurufen. Mit der Fertigstellung des Otto Leege Pfades wurde die Schaffung eines Gesamtkunstwerkes angestrebt.

3. Darstellung

Die endgültige Ausarbeitung des Gesamtkonzeptes sowie die inhaltliche Vertiefung einzelner Themen des Projektes erfolgte schrittweise im Laufe der Fertigung. Bei der Planung konnte auf die Arbeiten der Preisträger des Internetwettbewerbes „www.Otto-Leege-Lehrpfad.de“ zurückgegriffen werden, der als vorbereitendes Projekt 2007/08 stattgefunden hat. Aus den Wettbewerbsgewinnern, der Wettbewerbsjury, der Zimmerergemeinschaft „Holzfreunde AG International“ und dem Kooperationspartner Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer ist eine Entwicklungsgruppe gebildet worden mit dem Ziel, das Gesamtkonzept in realisierbare Einheiten aufzugliedern. Die künstlerische Ausarbeitung sowie die Herstellung von konstruktiven Elementen aber auch die Gestaltung der Tafeln und Klappbücher wurde größtenteils vom Projektleiter selbst vorgenommen. Methodisch ist der Otto Leege Pfad in einen äußeren und einen inneren Weg gegliedert. Im Rahmen der Realisierung des Gesamtkunstwerkes wurden Leitmotive eingegliedert. Auf 12 Stationen wird eine Verflechtung der Leitmotive erreicht. So entsteht eine Gesamtheit aus naturkundlich/naturwissenschaftlicher Wissensvermittlung und künstlerischer Gestaltung.

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Das Ehrentor für Dr. h. c. Otto Leege, entworfen von Bernd F. K. Bunk

Das Otto Leege Tor und die Schutzhütte wurden auf dem Festland hergestellt, zerlegt und auf Juist wieder aufgebaut. Die Schraubfundamente für den Holzbohlenweg wurden im Winter in den gefrorenen Boden geschraubt, so dass sich die Vegetation im Frühjahr bereits wieder voll entwickeln konnte. Die Anfertigung der Schautafeln erstreckte sich von Frühjahr bis Herbst 2011, da die Pflanzenfotos zu verschiedenen Jahreszeiten aufgenommen werden mussten. Für diverse kunsthandwerkliche Arbeiten wurde mit einer Schule in Bad Nauheim zusammengearbeitet. Der Holzbohlenweg ist barrierefrei.

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Die 12 Stationen des Pfades mit dem Wegverlauf von den Salzwiesen am Watt bis zum Meeresstrand

4. Ergebnisse

Die ortsnahe Wegeführung des Otto Leege Pfades von der Salzwiese quer über die Insel zum Strand ermöglicht zum einen alle relevanten Naturphänomene dieses komplexen Ökosystems anzusprechen und zum anderen erleichtert die Nähe zum Dorf auch älteren Menschen den Besuch des Pfades. Die Wegeführung war anfangs nicht unumstritten. Um der Bedeutung des Wattenmeeres für den Vogelzug Rechnung zu tragen, bedurfte es einer hochgelegenen Beobachtungsstation, wie sie nur auf einer Düne am Rande der Salzwiesen im Nationalpark gegeben war. Eine Genehmigung durch die Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer war an zwei Bedingungen geknüpft. Zum einen war die Renaturierung einer entsprechenden Wegstrecke notwendig und zum anderen musste das Dünenprofil in seiner ursprünglichen Form erhalten bleiben.

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Vogelbeobachtung von der hochgelegenen Plattform auch mit den vorhandenen Standfernrohren:
Ein Zugvogelschwarm und rastende Wildgänse.

Mit der erhöhten Holzkonstruktion der Treppe, der Vogelbeobachtungsplattform und des Bohlenweges „auf Stelzen“ unter Verwendung von stählernen Schraubfundamenten wurde eine optimale Lösung gefunden.

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Der Holzbohlenweg lädt zu einem meditativen Spaziergang über eine
ursprüngliche Dünenlandschaft ein.

Wie Umfragen bestätigen, hat die Integration von Kunstwerken, wie z.B. das Otto Leege Tor, die Schwengelpumpe oder die Klangskulptur, die Motivation vieler Gäste zum Besuch des Pfades erhöht. Auch die Möglichkeit zu individuell gestaltbarer Interaktion, z.B. an der Wasserklangschale oder Klangskulptur (Windharfe) reizt zu wiederholten Besuchen.

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Mit der Schwengelpumpe kann der Besucher des Pfades Wasser aus einer darunter liegenden Süßwasserlinse fördern. Die Pumpenskulptur wurde aus einem massiven Eichenstamm angefertigt.

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An der Wasserklangschale können mit dem Medium Wasser Schwingungsexperimente vorgenommen werden.

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„Wind und Wolken“, die Station mit der drehbaren Klangskulptur (Windharfe) auf einer Juister Düne gelegen.

5. Gesamtkunstwerk

Im Gesamtkunstwerk „Otto Leege Pfad“ ist die Kunst nicht Selbstzweck sondern dient der Intensivierung von Wahrnehmung, Empfindung und Erkenntnis naturkundlich/naturwissenschaftlicher oder sozialer Phänomene. Kunst und Naturkunde/Naturwissenschaft verbinden sich hier zu einem Ganzen. Bei der Planung des Pfades ergaben sich Schwerpunktthemen, die auf 12 Stationen an besonders dafür geeigneten Standorten behandelt werden. Die inhaltliche Gestaltung von Schautafeln für die einzelnen Stationen sollte durch Mitglieder der Entwicklungsgruppe vorgenommen werden. Die Integrierung der durchgängigen Leitmotive in die Schautafeln gelang
zunächst nicht immer, so dass isolierte wissensvermittelnde Stationen entstanden. Nach deren Korrektur durch den Projektleiter kann nun festgestellt werden, dass das Leitmotiv „wahrnehmen – empfinden – erkennen“ einen Schlüssel zum Naturerleben darstellt. Das zweite Leitmotiv „Die Juister Elemente“ (Sand, Wasser, Salz, Luft [Wind] und Licht [Sonne]), das bereits auf der Eingangstreppe an Stufenschildern vorgestellt wird, führt den Besucher in nachvollziehbarer Weise in die Vernetzheit des Ökosystems und in die Lebensvoränge auf der Insel ein. Mit der Begrifflichkeit „Elemente“ sind nicht die definierten chemischen Elemente, sondern Grundbestandteile, Grundbausteine der Biosphäre gemeint, deren spezifische Funktionen an den verschiedenen Stationen dargestellt werden.

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Eingangstreppe mit den Schildern der Juister Elemente

Technische Innovationen erfolgten bei der Konstruktion des Holzbohlenweges, der Klappbücher, bei Material und Installation der Schautafeln, bei der Schwengelpumpe, der Klangskulptur, der Wasserklangschale und dem großen Bodenrelief vom Vogelzug.

6. Der künstlerisch-ökologische Inselpfad als äußerer und innerer Weg

Der Otto Leege Pfad ist als ein äußerer und ein innerer Weg gedacht. Neben dem äußerlich sichtbaren, begehbaren Pfad gibt es den inneren, wahrnehmenden, empfindenden, erkennenden Weg. Der äußere Pfad mit seinen 12 Stationen ist der Wegeverlauf, der mit sinnlichen Anregungen und naturkundlichen Aussagen den Begeher anspricht. Der innere Weg vollzieht sich in einem Wahrnehmungs-, Empfindungs- und Erkenntnisprozess, der die Komplexität und Vernetztheit ökologischer Systeme besser verstehen lässt und zu einer höheren Wertschätzung von Natur und Umwelt führt. Ein Leitfaden für den inneren Weg ist durch die Schilder auf der Eingangstreppe an der Flugplatzstraße gegeben: die 5 Juister Elemente, Sand – Wasser – Salz – Luft – Licht (Sonne), werden an einzelnen Stationen besonders beleuchtet. Auch die auf den oberen Stufen
angesprochenen ökologischen Sachverhalte werden „unterwegs“ aufgegriffen und veranschaulicht. In der Kulturgeschichte der Völker sind sogenannte innere und äußere Wege, die geistig – seelische Wirkungen im Menschen hervorrufen, durchaus verankert. In Indien finden wir „den achtgliedrigen Weg des Buddha“, in China „die Bahn und der rechte Weg des Lao-Tse“ und im christlichen Kulturkreis den Kreuzweg der katholischen Kirche. Ursprünglich bezeichnete man im Christentum den Kreuzweg (Weg des Kreuzes) als die Strecke in Jerusalem, die Christus nach der Überlieferung auf dem Weg zur Kreuzigung zurückgelegt hatte. Der Kreuzweg, der zugleich ein innerer und äußerer Weg ist, ist heute größtenteils symbolhaft erstarrt; vom 14. bis zum 18. Jahrhundert jedoch hatte er lebendige Bedeutung. In vielen katholischen Kirchen finden wir den Kreuzweg dargestellt.
Anfangs bestand ein Kreuzweg aus sieben später – seit der Zeit um 1600 – aus 14 bebilderten Stationen. In unserer Zeit wird die Pilgerreise auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela von vielen Menschen als äußerer und innerer Weg erlebt.

7. Motivation und Wertschätzung durch künstlerische Gestaltung

In zahlreichen Großschutzgebieten, wie Nationalparken oder Naturparken, sind in Deutschland Skulpturenwege entstanden, die die Menschen über die Brücke der Kunst zu einem erweiterten Naturverständnis führen oder die einen Beitrag leisten sollen zum Verhältnis Mensch – Kultur – Natur.
Gemäß § 2 Abs. 3 der Satzung des Otto Leege Instituts sieht der Verein „… neben der Förderung des Umweltschutzes eine Hauptaufgabe darin, in der Landschaftspflege und -entwicklung tätig zu sein. Da Pflege und Entwicklung der Landschaft zum Kulturleben einer Region gehören und vom kulturellen also geistigen und künstlerischen Leben der Bewohner abhängig ist, setzt sich der Verein außerdem die Aufgabe, im kulturellen Bereich tätig zu sein.“ Daher sollten in die Gestaltung des Lehrpfades satzungsbedingt auch künstlerische Gesichtspunkte einfließen.
An zwei Beispielen soll die Sinnhaftigkeit einer solchen Vorgehensweise gezeigt werden:

    1. Gerätschaften des täglichen Gebrauchs werden mit handwerklicher Kunst über ihre bloße Funktionalität herausgehoben und gelangen so zu einem Gegenstand höherer Wertschätzung.
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Die Rose als Inbegriff von „Schönheit“ hat Seeleute dazu inspiriert, diesen ästhetisch ansprechenden Knoten als „Rosenknoten“ zu bezeichnen.

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Oldenburger Schülerinnen beim Binden der Rosenknoten, die als Endbegrenzung für die Geländerseile dienen.

  1. In der Buchkunst wird das zu übertragende Gedankengut durch die künstlerische Gestaltung des Buches auf eine höhere Verständnisebene gehoben.
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Die „Rosenstation“ liegt mitten in einem Juister Wildrosengebiet. Ein Klappbuch (Foto links) erklärt die verschiedenen dort vorkommenden Wildrosenarten. Das Klappbuch ist eine Entwicklung von Bernd F. K. Bunk und stellt ein Outdoor-Buch dar.

Diese Erkenntnis, auf den Otto Leege Pfad bezogen, bedeutet, dass durch die künstlerische Gestaltung eine stärkere Motivation für den Erkenntnisprozess und eine höhere Wertschätzung der Natur beim Begeher erreicht wird.

8. Versuch der Realisierung eines Gesamtkunstwerkes

Einen ökologisch-künstlerischen Inselpfad unter die vielversprechende Bezeichnung Gesamtkunstwerk zu stellen, ist einerseits hoch gegriffen, andererseits jedoch dafür prädestiniert, da die ökologische Thematik den Anspruch erhebt, ein biotopisches Ganzes zu erläutern. Zuerst einmal ist die Frage zu klären, was in heutiger Zeit unter Gesamtkunstwerk zu verstehen ist. Bazon Brock gibt in seinem Katalogbeitrag für die Ausstellung „Der Hang zum Gesamtkunstwerk“ eine ausführliche Definition des Begriffes. („Der Hang zum Gesamtkunstwerk“, Katalog, Aarau und Frankfurt a.M., 1983) Im Folgenden wird auf diesen Beitrag Bezug genommen und daraus zitiert. „Wollte man die Besonderheit der kulturellen Vorstellungen von Europäern in einem einzigen künstlerischen Konzept repräsentiert sehen, dann fiele die Wahl sicherlich auf das
>GesamtkunstwerkGesamtkunstwerk< so vielfältige Ausprägungen gefunden haben, unter denen die deutschen – vor allem in den vergangenen hundert Jahren – besonderes Interesse zu wecken vermochten. Natürlich muß man alle Kulturen in einer Hinsicht als gleichwertig und gleich leistungsfähig verstehen; alle Kulturen versuchen, ihren Mitgliedern die Erfahrung von der Einheit der Welt zu ermöglichen. Die Ausprägungen dieser Vorstellungen vom >Ganzen< sind gewiß recht unterschiedlich. Die wenigen, aber unübersehbaren Gemeinsamkeiten der europäischen Kulturen sind an die ihnen gemeinsamen Repräsentationen dieser Ganzheitsvorstellungen geknüpft, wie sie vor allem die gotische Kathedrale, die Institution >Universität< und die Idee des >Staates< darstellen; die Einheit der Welt verstanden als Schöpfung des Christengottes, Wirkungsfeld der Naturgesetze und als Schöpfung der Menschen.“

Kunstwerk, Gesamtkunstwerk – Definitionen

Seit der Renaissance verstehen wir unter einem Kunstwerk das Resultat aus Schöpfung und Arbeit. So war vor der Moderne, die eine neue Definition der Kunst und des Künstlers hervorbrachte, das Konzept >Gesamtkunstwerk< nicht nur den Künstlern vorbehalten. … „Ursprünglich galt der Name >Kunstwerk< auch nicht ausschließlich nur für die Handlungsresultate von Künstlern, darauf verweisen noch die gebräuchlichen Ausdrücke Kochkunst, Kriegskunst und Heilkunst. Vielmehr handelten alle Individuen als Künstler, deren Denken, Wollen und Handeln als besondere und unnachahmliche Vermittlung von Schöpfung und Arbeit Aufmerksamkeit erzwangen. Das konnten sowohl schöpferische Unternehmer und Künstler-Politiker wie auch schulbildende Wissenschaftler sein. Ihre Gesamtkunstwerk-Konzeptionen wurden entweder als wissenschaftliche Systematiken, als politisches Ideengebäude oder als Modell ökonomischer Prozesse ausgebildet. Und als Visionen der Künstler.“ Es gibt also Gesamtkunstwerk-Konzeptionen sowohl im ökonomisch-politischen wie im wissenschaftlichen als auch im künstlerischen Bereich. „Und wir haben in jedem Bereich darauf zu achten, welchen Grad der Durchsetzung von Gesamtkunstwerken die einzelnen historischen Beispiele repräsentieren. Von Gesamtkunstwerken wollen wir in allen drei Bereichen dann sprechen, wenn Individuen ein gedankliches Konstrukt übergeordneter Zusammenhänge als bildliche oder epische Vorstellung oder als wissenschaftliches System oder als politische Utopie entwickelt haben.“ … „Ein Ganzes zur Sprache zu bringen, könnte zu der Annahme verführen, das sei bereits geleistet, wenn man sich gleichzeitig möglichst aller sprachlichen Medien und kulturellen Techniken bediene.“ Dies ist jedoch ein Missverständnis, das sich als gedankliches Konstrukt eingebürgert hat. Um ein Ganzes zur Sprache zu bringen, … „bedarf es der Aktivierung aller unserer Fähigkeiten zur sinnlichen und intellektuellen Wahrnehmung. Die Geschichte des Konzepts >Gesamtkunstwerk< ist mit der Entdeckung verbunden, daß jede Wahrnehmungsaufgabe – also auch eine monomediale Malerei, Plastik, Graphik oder Musikkomposition – immer zugleich alle sinnlichen und intellektuellen
Wahrnehmungen stimuliert. Die Auffassung, daß Malerei nur das Auge, Musik nur das Ohr, Plastik nur den Tastsinn, Architektur nur den Raumsinn stimuliere, entspricht nicht den tatsächlichen Vorgängen in der menschlichen Wahrnehmung.
Die historisch entstandene Spezialisierung der Gattungen wollte die Wahrnehmungsaktivitäten unnatürlich vereinzeln und kanalisieren, um so die einzelnen sinnlichen und intellektuellen Wahrnehmungsleistungen zu steigern.“

Richard Wagner, Künstler und Gesamtkunstwerker

Einer der Künstler, die der Spezialisierung der Kunst entgegentreten wollten, war Richard Wagner. Er arbeitete daran, das Musikdrama als Gesamtkunstwerk für eine zukünftige umfassende Kunst zu entwickeln. … „Die entscheidende Frage für die Entwicklung eines solchen Gesamtkunstwerks versuchte Wagner auf folgende Weise zu beantworten: wenn das künstlerische Tun durch das Gesamtkunstwerk vor der Auflösung in nichtssagendes, technisch leeres Virtuosentum bewahrt werden sollte, indem es dem Publikum gegenüber wieder einen umfassenden Anspruch auf Wirkung erhob, konnte diese Wirkung nur erzwungen werden, insoweit das Publikum als Publikum eine Rolle im Konzept des Gesamtkunstwerks übernahm. Das Publikum mußte auf die gleiche Weise zu einer Gemeinschaft zusammengeschlossen werden, wie die spezialisierten Künstler für das
Gesamtkunstwerk zu vereinigen waren. Die Gemeinschaft der als Publikum am Gesamtkunstwerk Beteiligten konnte nur erreicht werden, wenn das Publikum wie die Künstler einem verpflichtenden Weltbild unterworfen würden.“

Topoi, Pathosformeln und Leitmotive

„Wagner hatte [zudem] die richtige Vermutung, daß der künstlerischen Spezialisierung von einzelnen Gattungen und Medien die tatsächlichen Vorgänge in der Wahrnehmung nicht entsprächen. [Denn]Wagner war bekannt, was heute allgemein als Synästhesie verstanden wird, nämlich die Kooperation mehrerer Wahrnehmungsorgane und ihrer Funktionen auch dann, wenn scheinbar nur ein Wahrnehmungsorgan angesprochen wird. Am bekanntesten war damals die gleichzeitige Aktivierung von Ton- und Farbwahrnehmung. Beethovens Programm-Musik (»Aufziehendes Gewitter an einem Sommernachmittag«) schien zu zeigen, daß durch die Musik sogar komplette Bildvorstellungen hervorgerufen werden konnten bzw. sie diese unabweislich hervorrief. Diese Bildvorstellungen schienen von dem Eindruck begleitet zu sein, zugleich auch Temperaturen, Gerüche, Tasteindrücke und so etwas wie Atmosphäre und Stimmung hervorzurufen. Die Formen der Kooperation einzelner Wahrnehmungsorgane und ihrer Funktionen werden kulturell verstärkt. Ihre ausgrenzbaren Einheiten gelten als Topoi (>Sommernachmittag<, >Nächtlicher Wald<, >Morgenfrühe im Gebirge<, >Die graue Vorzeit<, >Sieghaft-heldischer Blick<). Solche Topoi brauchten nur angedeutet zu werden, um beim Adressaten viele Wahrnehmungsassoziationen hervorzurufen. Dieser betonte Aufruf der Wahrnehmungsassoziationen ist so etwas wie eine Pathosformel, deren komplexe Verknüpfung bei Wagner »Leitmotiv« genannt wird.“ Grundsätzlich kann gesagt werden, dass Gesamtkunstwerke nur als fiktive Größe existieren, als in ein oder mehrere Medien gebrachte gedankliche Konstruktionen eines Ganzen.

Theorie

Juister Dünenlandschaft
Aus dem sich zu Dünen auftürmenden Sand des Strandes entsteht im Laufe der Zeit eine vielfältige Dünenvegetation.

Theorie Theorie

Fauna und Flora der Insel weisen eine hohe Biodiversität auf.

Theorie

Im Sinne Richard Wagners werden in das Konzept des Gesamtkunstwerkes „Otto Leege Pfad“ das Publikum (die Besucher) ebenso wie die umgebende Natur bis zu den Wolken einbezogen.

Fazit

Der Otto Leege Pfad erfüllt eine wesentliche Anforderung an ein Gesamtkunstwerk gemäß den Vorstellungen Richard Wagners, indem er das Publikum ebenso wie umgebende Natur in sein Konzept mit einbezieht. Die Stationen besitzen eine hohe kommunikative Komponente, sie sind gesprächsfördernd für die behandelten Themen Ökologie, Pflanzen- und Tierkunde, Naturschutz, Erhaltung der Artenvielfalt und höhere Wertschätzung natürlicher Ressourcen.

Theorie

Ein interaktives Kunstelement an dem sich immer wieder viele Besucher einfinden, um individuell oder gemeinsam Möglichkeiten zu erproben, verschiedenartige Wellenmuster und Känge zu erzeugen.

Die Hervorhebung Dr. Otto Leeges als Pionier des Natur- und Vogelschutzes stärkt das Geschichtsbewusstsein vieler Insulaner und Feriengäste, da kaum bekannt ist, dass es in Deutschland Umweltschutz bereits seit mehr als 100 Jahren gibt. Die Einbeziehung von Jugendlichen in den Realisierungsprozess hat, wie sich zeigte, großen erzieherischen Wert und sollte Modellcharakter für ähnliche Projekte besitzen. Das Projekt beschreitet neue Wege der Kognition, indem es die bildende Kunst als Werkzeug einbezieht. Es hat sich gezeigt, dass die künstlerische Gestaltung von Stationen, die naturkundlich/natur-wissenschaftliches Wissen vermitteln, von den Besuchern der Insel Juist geschätzt wird und dass sie den Pfad tatsächlich als Gesamtkunstwerk erleben.

Einzelnachweise

Harald Szeemann u.a.: „Der Hang zum Gesamtkunstwerk. Europäische Utopien seit 1800“, Sauerländer, Aarau und Frankfurt a.M., 1983
„Das Otto Leege Tor“ anlässlich der Einweihung des Otto Leege Tores und der Schutzhütte, Faltblatt des Otto Leege Instituts, Sandhatten, 2009
Programm der „Otto Leege Tage“ 2012, einschließlich Plan mit dem Wegeverlauf und den Stationen, Faltblatt des Otto Leege Instituts, Sandhatten, 2012
Plan des Pfades mit Informationen über Dr. Otto Leege sowie über das Thema „Gesamtkunstwerk“, Faltblatt des Otto Leege Instituts, Sandhatten, 2012
Einweihung des Gesamtkunstwerkes während der „Otto Leege Tage“ vom 28. – 30. Juni 2012.
Vorträge von Prof. Dr. Janiesch, Dr. Jan Leege, Landrat a.D. Walter Theuerkauf und Watt- und Naturführer Heino Behring im Rahmen der Otto Leege Tage.
Führungen über den Pfad durch Bernd F. K. Bunk und Heino Behring
Fernsehbericht über die Einweihung des Otto Leege Pfades im NDR am 31. Juni 2012.
Bernd F. K. Bunk: Werkbroschüre Gesamtkunstwerk „Otto Leege Pfad, ein ökologisch-künstlerischer Inselpfad“, Otto Leege Institut, Sandhatten, 2012